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22.08.2015
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Body-Hacker: Wie man sich selbst zum Cyborg machtAndreas von Rétyi
Eine neue Riege an Forschern, Experimentatoren und Performance-Künstlern hat Gefallen an gefährlichen Eingriffen in den eigenen Körper gefunden, um internetfähige Körperteile zu züchten und diverse elektronische Sensoren unter die Haut zu implantieren. Für manchen gerät dabei der persönliche Cyborg-Traum zum Horrortrip. Wohin soll der Wahn noch steuern?
»Würden Sie mir ein Ohr leihen?« ‒ »Ja, aber nur wenn Sie ein Auge drauf werfen!« Doch was an Teilen vorhanden ist, reicht nicht mehr, da wird manipuliert und gezüchtet, was das Zeug hält, der menschliche Körper wird zur Andockstation für moderne Technik. Wie mittlerweile mit dem gesunden Organismus verfahren wird, mutet nachgerade grotesk und verwerflich an.
Da werden, wenn auch weitgehend im Selbstversuch, künstliche Implantate im Arm zu WLAN-fähigen dritten Ohren herangezüchtet, Messgeräte unter die Haut operiert, brandgefährliche Augentropfen für enorm gesteigerte Nachtsicht eingeträufelt, Neurostimulatoren implantiert und per Fernbedienung gesteuert sowie vieles mehr.
Die bizarren und vielfach fragwürdigen Experimente, wie sie gegenwärtig von manchem »Vordenker« und »Künstler« betrieben werden, zielen zwar völlig freiwillig auf den eigenen Organismus ab, wobei einige Versuche durchaus dazu beitragen könnten, Menschen mit geschädigten Sinnesfunktionen oder verschiedenen körperlichen Gebrechen mit neuen Hilfsmitteln auszustatten.
Trotzdem erweisen sich viele dieser makabren Eingriffe eher als High-Tech-Wahnsinn mit erheblichem gesundheitlichem Gefahrenpotenzial, nicht nur für die Akteure selbst. Es sind Beispiele, die schnell Schule machen könnten, angesichts der typisch menschlichen Eigenschaft, sich aus der Masse als besonders hervorheben zu wollen.
So entwickelt sich bei den unsinnigsten Ideen immer wieder ein kaum nachvollziehbarer Kultstatus, der im vorliegenden Fall einen weiteren Schritt in die absolute, die totale Kontrolle bedeuten kann. Kaum vorstellbar, dass sich Menschen derlei körperlichen Einschränkungen als vermeintlicher Erweiterung ihrer Möglichkeiten freiwillig aussetzen. Doch sieht die Wirklichkeit wohl anders aus.
Da wäre zum Beispiel der aus Zypern stammende Performance-Künstler Stelios Arcadiou, der seit 1972 als »Stelarc« in Erscheinung tritt. Zuvor schon Principal Research Fellow an der Performance Arts Digital Research Unit der Nottingham-Trent-Universität, er forscht mittlerweile an der Curtin-Universität in Westaustralien und leitet dort das Labor für »alternative Anatomie«. Was es so alles gibt!
1997 hatte ihn die amerikanische Carnegie-Mellon-Universität zum Honorarprofessor in Kunst und Robotik ernannt. »Professor Stelarc« machte bereits durch einige sehr ungewöhnliche Aktionen auf sich aufmerksam. Er nutzte einen robotischen dritten Arm, kontrollierte die Muskeln ferngesteuert per Computer, ließ sich eine Skulptur in den Magen implantieren und konstruierte ein Exoskelett. Wem's zu gut geht … Stelarc will die Grenzen zwischen Mensch und Maschine auflösen.
Ein erstrebenswertes Ziel? So manches erinnert an Entwicklungen der DARPA, trotz unterschiedlicher Ambitionen. Oder weichen sie etwa gar nicht so deutlich voneinander ab? Wie auch immer, vor Jahren entschloss sich der Cyborg-Künstler, ein drittes Ohr am eigenen Leibe zu züchten, das er nun auch mit dem Internet verbinden will, um gleichsam immer »ganz Ohr« zu sein.
Schon 1996 war er auf diese Idee gekommen, allerdings brauchte er nahezu ein Jahrzehnt, um ein Ärzteteam zu finden, das bereit war, sich auf das Projekt einzulassen und den seltsamen Professor zu unterstützen. Das dritte Ohr wuchs am Unterarm heran. Es wurde teils chirurgisch modelliert, teils aus körpereigenem Gewebe gezüchtet. So entstand dann aus dem anfänglichen, in die Haut implantierten Biopolymergerüst ein mit dem Körper verschmolzenes Ohr.
Innerhalb von sechs Monaten wuchs das Gewebe mitsamt Blutgefäßen, wobei Stelarc großen Wert darauf legt, eine noch plastischere Form zu erhalten, ein komplett ausgeprägtes Ohr in voller Lebensgröße. Ursprünglich stand zur Diskussion, ein auf den Kopf gepflanztes Ohr von lediglich einem Viertel der O(h)riginalgröße zu schaffen, doch gab sich der Künstler mit dieser Idee nicht zufrieden.
Als Nächstes möchte er sein Zusatzohr WLAN-fähig gestalten und erklärt: »Dieses Ohr ist nicht für mich gedacht. Ich habe zwei gut funktionierende Ohren, um mit ihnen zu hören. Dieses Ohr hier ist eine Fernhöreinrichtung für andere Leute. Sie werden in der Lage sein, einer Konversation zu folgen oder die Geräuschkulisse eines Konzerts zu hören, ganz gleich, wo ich mich aufhalte und wo Sie sich befinden.« Dazu also eine derartige Züchtung? Experiment, Anatomie-Kunst, Hilfe für andere Menschen? In jedem Falle Vorsicht also: Arm hört mit!
Per GPS-Tracker sollen andere Menschen jede der Bewegungen des abgedrehten Professors verfolgen können, selbst aus weiter Ferne und natürlich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Dabei wird es, so betont er, keinen An-Aus-Schalter geben. »Wenn ich mich nicht an einem WLAN-Hotspot befinde oder ich mein Modem zu Hause ausschalte, dann bin ich vielleicht mal offline. Aber die Idee besteht darin zu versuchen, dieses Ohr die ganze Zeit über online zu halten.« Stelarc möchte die kommunikativen Möglichkeiten voll ausschöpfen. Schon einmal hat er versucht, ein Mikrofon direkt ins Ohr zu implantieren, wobei sich dann allerdings eine Infektion entwickelte und das Gerät wieder entfernt werden musste.
Mittlerweile gibt es viele Anhänger der Idee, sich selbst in einen Cyborg zu verwandeln und möglichst viel Elektronik und künstliches Gerät in den zuvor völlig unversehrten Körper zu stopfen. Man spricht bereits von einer eigenen Gemeinde der »DIY-Cyborgs«, der »Do-It-Yourself-Cyborgs« also, manchmal auch »Body-Hacker« genannt. Sie besitzen keine Hemmungen, invasiv vorzugehen und sich Magnete, Batterien, Sensoren und sogar LED-Leuchten unter die Haut zu verpflanzen. Großen Bekanntheitsgrad erlangte der britische Kybernetiker Professor Kevin Warwick von der Universität Reading, der mit seinem implantierten RFID-Chip als »weltweit erster Cyborg« in die Geschichte einging, wie man gerne sagt.
Andere Biohacker pflanzen sich sogar gleich Gerätschaften von der Größe einer Zigarettenschachtel unter die Haut, zu völlig sinnfreien »Zwecken«. Tim Cannons Circadia-Implantat misst Hauttemperatur und Blutdruck, was nun wirklich keiner invasiven Technik bedarf, sondern traditionell sehr leicht von außen ermittelt werden kann. Das Endergebnis des eigenartigen Experiments hatte wohl auch Cannon nicht erwartet.
Plötzlich spielte die Batterie verrückt und Cannon erlitt regelrechte Panikattacken. Trotzdem machte er weiter. Mit der nächsten Circadia-Version möchte er umfangreichere Messungen durchführen und jedwede Störung vermeiden. Doch die bei ihm aufgetretenen Probleme bilden wiederum keinen Einzelfall. Auch Sander Pleji erlebte ein blaues Wunder. Dabei sind die Versuche des Dänen etwas leichter nachvollziehbar als diejenigen Cannons.
Biohacker Pleji implantierte sich einen Neurostimulator in den Körper, da er an chronischen Cluster-Kopfschmerzen mit ihrem typischen, einseitig auftretenden, sehr starken und stechenden Schmerz im Bereich von Auge und Schläfe litt. Zwar sind die Ursachen ungeklärt, doch gibt es unter anderem experimentelle therapeutische Ansätze okzipitaler Nervenstimulation mit Hilfe implantierter Elektroden. Hier setzte auch Pleji an und sandte elektrische Impulse mittels des ferngesteuerten Stimulators ab, um die Kopfschmerzen zu lindern.
Doch auch sie lösten völlig unerwartete Panik-Attacken aus, wobei Pleji offenbar nicht mehr Herr seiner Sinne war. Das geht aus einigen seiner Notizen hervor: »Mir blitzte das Bild eines Messers durch den Kopf, ein Messer in meiner Haut, in meiner Narbe. Ich wollte mich damit selbst aufschneiden, mir die Technologie aus dem Körper reißen, könnte ich mich selbst nicht mehr kontrollieren … Was? Nein! Aber die Angst verdoppelte sich: Nun hatte ich auch Angst davor, ich würde mir das ganze Ding aus dem Körper schneiden. Was stellte mein Körper mit mir an? Was würde ich gleich tun? … Ich hatte keine Sorge davor, was mir das Ding antun könnte, ich hatte Angst davor, dass ich dem Ding etwas tun könnte.«
Allein dieses Beispiel und die verwirrten Zeilen Plejis belegen eindrücklich, welch ungeahnte Folgen derlei Eingriffe in den Körper haben können. Selbst das schreckt viele nicht ab weiterzumachen. Rich Lee pflanzte sich winzige Magnete hinters Ohr ein, um Signale von einer um den Nacken gelegten Spule abzugreifen und Musik ohne Kopfhörer wahrzunehmen, während davon niemand anderes etwas mitbekam. Das klingt nach einem völlig überflüssigen Unterfangen.
Allerdings gab es für ihn ähnlich wie auch für Pleji einen ernsteren Grund als lediglich den Wunsch, niemals mehr den Kopfhörer zu vergessen oder heimlich Musik hören zu können. Lee stellte fest, bald erblinden zu müssen und wollte daher einen Apparat entwickeln, der ihm helfen sollte, Schallreflexe aus der Umgebung abzugreifen und auf diese Weise einen Bildersatz zu erhalten, ganz ähnlich der Echoortung bei Fledermäusen.
Sollte außerdem eine Röntgen-Cybertechnologie möglich werden, um mehr zu sehen als es uns Menschen von der Natur gegeben ist, so würde er sie sofort haben wollen, erklärte Lee zudem einmal. Und dies um jeden Preis, selbst wenn er eine Augenprothese dazu benötigen sollte, die ihn wie ein Monster aussehen ließe.
Andere lassen sich wiederum eine von der US-Forschungsgruppe »Science for the Masses« entdeckten Chemikalienmischung aus Chlorin, Insulin und Dimethylsulfoxid in die Augen träufeln.
Plötzlich steigert sich die Fähigkeit im Dunkeln zu sehen ganz enorm. Von gesteigertem Spaß bei Nachtwanderungen ist bereits die Rede, auch von einer entscheidenden Hilfe für Rettungsteams oder bei gefährlichen Arbeitsplätzen im Dunkeln. Natürlich kommen schnell auch militärische Anwendungen ins Spiel. Handgroße Objekte noch aus zehn Metern Distanz in der Finsternis auszumachen – kein Problem.
Ein echtes Problem bringt allerdings der schwarze chemische Cocktail mit sich: Schon eine einmalige Anwendung von Chlorin kann Netzhautblutungen und einen Verschluss der zentralen Netzhautvene (CRVO) zur Folge haben, ein akuter medizinischer Notfall. Weitere Studien über potenzielle Gefahren werden durchgeführt, als wenn diese Fakten nicht schon genügten!
Insgesamt jedenfalls bieten die ungewöhnlichen Experimente wirklich kaum erfreuliche Aussichten für diejenigen, die solche teils völlig überflüssigen Versuche an sich durchführen und zuweilen einen hohen Preis bezahlen müssen. Hinzu kommt der Faktor des Missbrauchs durch verschiedene Gruppen und Organisationen, die hier ein neues weites Feld für Überwachung und Kontrolle für sich entdeckt haben dürften. Dieser Sache Vorschub zu leisten, dürfte kaum ein sinnvolles Ziel sein.
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Bildnachweis: ra2studio / Shutterstock, „Stelarc Extra Ear Ear on Arm“ von Nina Sellars -
http://www.stelarc.va.com.au. Lizenziert unter CC BY 2.5 über Wikimedia Commons, "Stelarc ArsElectronica97". Licensed under CC BY 2.5 via Wikipedia
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Leser-Kommentare (4) zu diesem Artikel
22.08.2015 | 09:43
bv
Vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Nur: Wen wundert´s? Es war eigentlich zu erwarten. Und es wird noch schlimmer. Gemacht wird, was machbar ist. Metropolis...Hoffmanns Erzählungen, Kunigunde von Thurneck...usw....usw.. Der Mensch traut offenbar einem selbstkreierten mechanischen Ersatzteillager mehr, als seiner eigenen Spezies. Ich möchte hier ja keine Phrasen dreschen, aber es ist schon so. Der Mensch ist sich selbst der größte Feind. Und wenn er seine eigenen...
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22.08.2015 | 09:41
Staubkorn
"...und die verwirrten Zeilen Plejis..." Nein, durchaus nicht verwirrt wenn man weiss, dass das Unterbewusstsein seine Signale an den Vestand schickt um dass sie, Signale der Not etwa, von ihm, dem Verstand nur Symbolisiert werden und also nicht als das Verstanden werden (können) was sie in Wirklichkeit sind - Simple Signale der Angst des Körpers vor dem Tod. Man könnte ihn zum "Psychologen" schicken der einigen Unsinn hineininterpretieren würde. Aber Tatsache...
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22.08.2015 | 09:14
Sebastian
Generell eignеt sich die Technik zum Einsаtz für gute wie schlеchte Zwеcke. Zum Beispiel verwеnde ich die Tеchnik, um monаtlich einige Tausendеr aus der Sportszеne auf mеin Bаnkkoпto umzuleiten, ganz lеgal bei minimаlstem Zеitaufwand: http:/turl.ca/jukxc
22.08.2015 | 09:13
Ausgelachter
Genderwahnsinn und Geschlechtlosigkeits Ansätze sind die Vorboten oder Vorstufen zu Entmenschlichung. Zukünftige Mensch ist ein Borg dem Kollektiv gebunden und die Kinder werden in dem Laboren gezüchtet, in vitro oder noch was weiß ich inzwischen nähme ich an fortgeschrittenes. Lacht nur euch schlap, big broder war auch mal lächerlich und heute ist es wahr. Viele Lächerlichkeiten und Verschwörungen von vor 70 Jahren werden heute zur Wirklichkeit, und ihr lacht alles aus was...
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